Musikland Tirol

Johann Stadlmayr wurde schon in jungen Jahren zum Hof- und Domkapellmeister des Fürsterzbischofs in Salzburg ernannt. Erstaunlich bleibt es, dass trotz seiner nachmaligen Berühmtheit weder sein Geburtsort noch das genaue Geburtsdatum bekannt geworden sind, doch wird angenommen, dass Stadlmayr im Umfeld der fürstbischöflichen Residenzstadt Freising um 1575 geboren wurde. Im Jahr 1607 wurde Stadlmayr an den Innsbrucker Hof berufen. Hier residierte damals als Tiroler Landesherr Erzherzog Maximilian II. Da er als Oberhaupt des Deutschen Ordens unvermählt blieb, war Innsbruck zu jener Zeit eher eine stille Residenz, Hoffeste zählten zu den absoluten Ausnahmen. Umso mehr war der musikalisch ausgebildete Landesfürst auf qualitätvolle Kirchenmusik bedacht, und er wird ganz bewusst mit Stadlmayr eines der beachtenswertesten Kompositionstalente im Bereich der Musica sacra an seinen Hof berufen haben. Stadlmayrs noch in Salzburg im niederländischen polyphonen Motettenstil komponierte und 1603 im Druck erschienene Sammlung von zehn Magnificats hat die Zeitgenossen sicherlich beeindruckt - jedenfalls war Stadlmayr beim Tiroler Landesfürsten hoch angesehen. Allein in dem Faktum, dass die Zahlungen für die Hofkapelle in voller Höhe und durch all die Jahre jeweils pünktlich angewiesen wurden, was durchwegs nicht selbstverständlich, sondern bei anderen Fürsten die Ausnahme war, zeigt sich, dass der Hof Stadlmayr mit Achtung begegnete. Auch an der Höhe der Zuwendungen an den Hofkapellmeister kann man ermessen, welch hoher Gunst sich Stadlmayr in Innsbruck erfreute: 1613 empfängt er 950 Gulden, und 1618, im Todesjahr des Fürsten, 1500 Gulden, um sich in Innsbruck ein Haus kaufen zu können. Und noch in seinem Testament bedenkt ihn der Landesherr mit einem stattlichen Legat.
Stadlmayr hat dieses Zuvorkommen durchaus gerechtfertigt. In der Regierungszeit Erzherzog Maximilians erschienen bedeutende Sakralwerke Stadlmayrs, so 1616 seine eindrucksvollen dreichörigen Messen in Wien, in denen schon ansatzhaft der neue konzertierende Kirchenstil zur Geltung kommt und die ihn neben anderen Publikationen zu einem der bedeutendsten Kirchenkomponisten im deutschen Sprachraum avancieren lassen. Wie sehr Stadlmayr seine Innsbrucker Hofkapelle perfektionierte, mag man in dem Umstand ermessen, dass Innsbrucker Bläser 1608 sogar für Hoffeste nach Mantua berufen wurden.
Da der neue Landesherr Erzherzog Leopold seine eigenen Musiker in die Innsbrucker Residenz mitbringt, wird die Innsbrucker Hofkapelle entlassen. Auch Stadlmayrs Schicksal bleibt für längere Zeit ungewiss. Erst wiederholte Eingaben und Gesuche bewirken, dass ihn Erzherzog Leopold 1621 zum provisorischen Kapellmeister ernennt. Doch um sich seine Einkünfte notgedrungen zu vermehren, versieht Stadlmayr sogar den Dienst eines von der Regierung bestellten Inspektors der Metzger- und Fleischbankordnung. Endlich wird er 1624 definitiver Hofkapellmeister. Dass Stadlmayr unter diesen Umständen in Innsbruck geblieben ist, mag erstaunen, zumal er sowohl Angebote für die Stelle des Wiener Domkapellmeisters hatte als auch vom kurfürstlichen Hof in München umworben wurde. In der Folge hat er aber in Innsbruck durchaus ideale Umstände vorgefunden, vor allem, als nach der Verheiratung Erzherzog Leopolds mit Claudia von Medici südländisches Flair in Innsbruck einzog. Die konzertante Kirchenmusik nach dem Muster italienischer Komponisten wird nun auch an der Innsbrucker Residenz tonangebend. In der Besetzung der Hofkapelle macht sich ebenfalls die neue Zeit bemerkbar: vier Kastraten und drei Streicher werden neu angestellt, dazu ein Fagottist, je zwei Zinkenisten, Posaunisten und Trompeter. Auch im neuen Stil wird Stadlmayr zu einem Pionier nördlich der Alpen und in rascher Folge erscheinen in den Innsbrucker Offizinen Gäch und Wagner zahlreiche Werke, mit denen Stadlmayr die konzertierende Kirchenmusik zu voller Entfaltung bringt. Mit der Messensammlung von 1642 und vor allem mit dem Apparatus musicus von 1645 erreicht er den Höhepunkt seines Schaffens. Er verschafft sich damit großes Ansehen: seine Werke sind weit verbreitet und in zeitgenössischen Inventaren zahlreich vertreten. Sein Schüler Abraham Megerle nennt ihn voll Bewunderung und gewiss nicht zu Unrecht aller Komponisten ewige Zier und Ehr.
Von Stadlmayrs Opera für die Kirche erschienen 21 Kompositionen im Druck, so in Augsburg, München, Passau, Wien, Ravensburg, Antwerpen, doch vor allem in Innsbruck.
Nach dem Tod Erzherzog Leopolds 1632 übernahm seine Witwe für den minderjährigen Sohn Ferdinand Karl die Regentschaft in Tirol. Durch die ausufernden Festivitäten und die gewaltigen Dimensionen, die der Hofstaat erreicht hatte, war die Landesfürstin gezwungen, massive Einsparungen vorzunehmen. Umso mehr kommt die Wertschätzung gegenüber ihrem Hofkapellmeister Johann Stadlmayr zur Geltung, dem es in dieser finanziell restriktiven Zweit gelingen konnte, den Hauptteil seines Lebenswerkes mit großzügiger Unterstützung Erzherzogin Claudias in Innsbruck herauszubringen. In dieser Zeit erscheinen acht umfangreiche Sammlungen, darunter jene drei prachtvollen Kompendien, von denen bei diesem Konzert Beispiele in Auswahl erstmals seit ihrer Entstehungszeit wieder vorgestellt werden.
In Innsbruck, dem Druckort von insgesamt 14 Werkausgaben, haben sich keine Quellen erhalten. Damals wurden die Kompositionen in Form von Stimmbüchern gedruckt, eine zwölfstimmige Komposition umfasste im Druck demnach zwölf Heftchen, in denen die jeweilige Gesangs- oder Instrumentalstimme notiert war. Man kann sich leicht vorstellen, dass für eine solcherart auf zahlreiche Heftchen aufgeteilte Komposition die Gefahr des Verlustes einzelner Stimmen ungleich größer war als bei einem Chorbuch, das geschlossen die vollständige Komposition enthielt. Zudem kam das Faktum, dass die Komponisten der damaligen Zeit ihre Werke nicht mit einer in die ferne Zukunft reichenden Dimension ansahen und die Drucklegung eher auf Verbreitung der Werke abzielte als auf ihre dauerhafte Präsenz. Von den Komponisten wurden zudem stets Novitäten gefordert und ein rückschauender Historismus im Rahmen der musikalischen Aufführungspraxis war damals noch kein Thema. Und es ist darum umso mehr erstaunlich, dass sich das Werk Stadlmayrs nahezu vollständig erhalten konnte. Wir haben in den letzten Jahren im Zuge unserer Erschließungsarbeiten von Quellen zur Tiroler Musikgeschichte Stadlmayrs Kompositionen in Form von Kopien der Stimmbücher und in Zusammenarbeit mit zahlreichen europäischen Archiven und Bibliotheken nahezu vollständig dokumentiert und teilweise schon in moderne Notenschrift transferiert. Es ist auch zu erwähnen, dass dieser erfreuliche Sachverhalt wie ein Wunder anmutet, denn der überwiegende Teil des Gesamtwerks ist jeweils nur in Unikaten erhalten geblieben, so auch die bei diesen Konzerten präsentierten Kompositionen. Die Stimmbücher der großartigen Marienantiphonen und der meisterhaften Messensammlung im Musikarchiv des Stifts Kremsmünster und die Quellen zum überaus beeindruckenden klangprächtigen Apparatus musicus haben sich zum überwiegenden Teil in der Musiksammlung der Bayerischen Staatsbibliothek in München erhalten. Ein fehlendes Stimmbuch konnte Manfred Schneider im Musikarchiv des Benediktinerklosters Marienberg (Südtirol) entdecken. Zwei von insgesamt 24 Stimmbüchern blieben jedoch verschollen. Sie betreffen jedoch nicht die melodische Hauptsubstanz, sondern sind an sich eher untergeordnete Füllstimmen. In unserem Auftrag hat der bayerische Musikwissenschaftler Christian Thomas Leitmeir die fehlenden Stimmen mit Feingefühl und großer Könnerschaft ergänzt und so wesentlich dazu beigetragen, dass dieses ganz außergewöhnliche und überaus prächtige Opus nun wieder erklingen kann. Die Transkriptionen der Antiphonensammlung und der vier konzertierenden Messen von 1642 in Partiturform stammen von Michael Steiner-Schweissgut, während Thomas Engel den ungemein umfangreichen Apparatus musicus in bewunderungswürdiger Konsequenz in moderner Notation verfügbar machte.
Mit der 1642 in Innsbruck erschienen Messensammlung Missae concertatae erreichte Stadlmayr seinen künstlerischen Höhepunkt in der Vertonung des Ordinarium Missae, den auch die ein Jahr später in Antwerpen publizierten drei prachtvollen Messen nicht mehr übertreffen können. Schon bei den sechsstimmigen Messen aus dem Jahr 1631 hatte Stadlmayr den neuen konzertierenden Stil zur Entfaltung gebracht, wenngleich hier noch nicht jene Virtuosität in der Sicherheit des Gebrauchs der neuen Stilmittel bemerkbar ist wie bei der großartigen Sammlung aus dem Jahr 1642. Der neue Stil der konzertierenden Vokalstimmen mit den von den Colla-parte-Fesseln emanzipierten Instrumenten ist hier zu völliger Selbstverständlichkeit der Gestaltung avanciert. Mit dem konzertierenden Element von Solistenchor und teilweise alternierenden Instrumenten vereint sich die Klangpracht der älteren Cori-spezzati-Technik im Klang verstärkenden hinzutretenden des Ripieno-Chors. Besonders in der bei diesen Konzerten erstmals seit ihrer Entstehungszeit wieder präsentierten Missa Jesum omnes diligite hat Stadlmayr ein Meisterwerk sakraler Festlichkeit und Erhabenheit geschaffen, das die Bewunderung seiner Zeitgenossen leicht erklärbar macht.
Im Sammeldruck Apparatus musicus sacrarum cantionum concertantium vereint Stadlmayr die Summe seiner Kunst und hat sich damit selbst ein Denkmal geschaffen. Diese gewaltige Edition, die 1645 in Innsbruck erschien, vereint 50 Motetten und Instrumentalkanzonen in unterschiedlichster Formation von der solistisch besetzten Kleinform bis zur vielchörigen und auch instrumental reich bedachten Repräsentationsmotette. Stadlmayrs Apparatus ist nicht nur ein vielgestaltigen kompositorisches Meisterwerk, sondern verweist in seinem außergewöhnlichen Aufwand und in der stilistischen Vielfalt auch auf das hervorragende Können der damaligen Innsbrucker Hofkapelle. Nicht zuletzt ist die aufwendig kunstvolle und nahezu tadellose technische Ausführung des Druckes ein beredtes Zeugnis für die besondere Leistungsfähigkeit der Innbrucker Offizin des Michael Wagner, die zu jener Zeit internationales Ansehen erlangte.

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