Tirol und die österreichischen Vorlande gehörten über Jahrhunderte zum Herrschaftsbereich der Habsburgerfürsten, die zur Verwaltung dieser Gebiete in Innsbruck eine eigene rechtlich autonome Hofhaltung einrichteten. Die Tiroler Landesherren waren als Erzherzöge und Geschwister des Kaisers auf eine weitgehend ihrem hervorgehobenen Stand entsprechende Repräsentation bedacht, die naturgemäß auf die Kulturgeschichte des Landes einen nachhaltigen Einfluss hatte. Vor allem die Regierungszeit Erzherzog Ferdinands II. von Tirol hat teilweise bis in die Gegenwart deutliche Spuren hinterlassen. Erzherzog Ferdinand entfaltete in Innsbruck eine prunkvolle Hofhaltung im Geiste der Renaissance. Für seine bürgerliche Gemahlin Philippine Welser ließ er die mittelalterliche Burganlage von Schloss Ambras zu einer ansehnlichen Residenz umbauen, die mit erlesenen Kunstwerken geschmückt wurde. Eine europäische Sehenswürdigkeit waren seine Kunst- und Wunderkammer mit Rüstungen und Waffen bedeutender Männer, deren Lebensbeschreibungen der Fürst verfassen ließ, mit historischen Bildern, Münzen, Goldschmiede- und Elfenbeinarbeiten, Musikinstrumenten und vielen anderen Kostbarkeiten, so eine über 3400 Bände umfassende Bibliothek. In Innsbruck und vor allem auf Schloss Ambras gab es glänzende Hoffeste, wobei Musik selbverständlich eine hervorragende Rolle spielte. Erzherzog Ferdinands Sammelleidenschaft wirkte sich natürlich auch auf seine Hofkapelle aus, die in ihrer Zusammensetzung ein gesamteuropäisches Flair hatte. Dem Bestreben des Erzherzogs, auswärtige Künstler an den Hof zu ziehen, kamen seine verwandtschaftlichen Beziehungen zu den meisten Fürstenhäusern Europas entgegen, so dass in der Innsbrucker Hofkapelle der damaligen Zeit neben Österreichern vor allem Musiker aus den Niederlanden, aus Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Spanien tätig waren. Viele Musiker Ferdinands waren international angesehene Komponisten, deren Werke bei den damals bedeutendsten Verlagen zum Teil in mehreren Auflagen erschienen sind und so den Ruf der Innsbrucker Hofkapelle weithin verbreiteten. In Innsbruck haben sich keine Drucke aus dieser Zeit erhalten, wohl aber in vielen europäischen Archiven und Bibliotheken. Wir haben nun im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum und im Institut für Tiroler Musikforschung diese zum größten Teil in Innsbruck geschaffenen Werke systematisch gesammelt, in Kopie erworben und so in großer Zahl wiederum an ihren Ursprungsort zurückgebracht. Derzeit wird dieser überreiche Fundus in moderne Notenschrift transferiert und bildet dann die Grundlage für weitere Konzertprojekte, die zur dauerhaften Dokumentation und internationalen Verbreitung auch auf CDs festgehalten werden. Dieses in vielerlei Hinsicht innovative Projekt steht naturgemäß in einem Naheverhältnis zur Intention des RISM (Répertoire International des Sources Musicales / Internationales Quellenlexikon der Musik). Zum einem wäre die Durchführung unseres Vorhabens in dieser Konsequenz ohne die Einrichtung RISM nicht möglich gewesen, zum anderen erhält die umfassende Tätigkeit in der Erschließung musikalischer Quellen durch RISM anhand unserer kontinuierlichen und konsequenten Aktivitäten von der Programmgestaltung, Präsentation in Form von Konzerten und schließlicher medial vielgestaltig verwendbarer Dokumentation auf CDs, der natürlich die Adaption der historischen Materialien für den modernen Gebrauch in Wissenschaft und Musikpraxis vorausgeht, eine geradezu idealtypische Partnerschaft.
Georg Flori stammt wie viele Mitglieder der Innsbrucker Hofkapelle aus den Niederlanden. In Innsbruck wirkte er vorerst als Bassist und war zeitweise Vizehofkapellmeister Erzherzog Ferdinands. Flori führte ein überaus unstetes Leben und war an verschiedensten Höfen, zumeist jedoch nur äußerst kurzzeitig, tätig, so etwa in München, in Stuttgart, in Fuggerischen Diensten in Augsburg oder als Domkapellmeister in Treviso 1589, in jenem Jahr, wo in Venedig sein einziges erhaltenes publiziertes Werk, das Madrigalbuch Il primo libro de madrigali a sei voci bei Angelo Gardano im Druck erschien. Flori kehrte jedoch immer wieder für längere Zeiträume in die Innsbrucker Hofkapelle zurück, die er anscheinend als seine Heimat empfand. Sein virtuoses Madrigalbuch, das sich vollständig nach derzeitiger Kenntnis nur in der Biblioteka Gdanska Polskiej Akademii Nauk in Danzig erhalten hat, ist demnach auch Erzherzog Ferdinand von Tirol gewidmet.
Jakob Regnart (um 1540-1599) aus Donai in Flandern gehört zu den berühmten Komponisten seiner Zeit. Vor allem seine in zahlreichen Auflagen publizierten Liedvertonungen haben ihn als Meister der Gattung Gesellschaftslied europaweit bekannt gemacht. 1581 stirbt der bedeutende Niederländer Alexander Utendal als Vizehofkapellemeister in Innsbruck und Regnart wird sein Nachfolger. 1585 ernennt ihn Erzherzog Ferdinand zum Hofkapellmeister. Nachdem sein Dienstherr 1595 verstorben war, wird die Innsbrucker Hofkapelle kurzzeitig aufgelöst. Regnart findet folglich seine letzte Wirkungsstätte als Vizekapellmeister in der kaiserlichen Hofkapelle in Prag. Seine Liedersammlung Neue Kutzweilige Teutsche Lieder mit fünff stimmen, welche gantz lieblich zu singen, und auff allerley Instrumenten zu gebrauchen, Nürnberg 1580, gehört zu seinen originellsten Werken. Wie es der Komponist, der in der Staatsbibliothek zu Berlin Preußischer Kulturbesitz vollständig erhaltenen Liedersammlung vorsieht, haben wir zu ihrer Präsentation in Auswahl auch ein Instrumentarium vorgesehen. Floris exzellente Madrigalkunst kommt hingegen weitgehend a cappella gesungen sicherlich wirkungsvoller zur Geltung.
Manfred Schneider